„Trans – Das ist doch nur eine Phase, oder?“

Die Frage „Trans – Das ist doch nur eine Phase, oder?“ höre ich öfter. Sie wird an mich als Mutter eines Trans*-Kindes gestellt. Oder von ratsuchenden Menschen. Es gibt sie in Abwandlungen wie zum Beispiel: „Ach, das nehm ich gar nicht ernst, das ist ja nur eine Phase!“ Ich lese sie auf sozialen Medien und in der Zeitung. Und sie wird aus verschiedenen Motivationen heraus gestellt. Ist diese Frage unterschwellig diskriminierend? Darauf gibt es für mich eine klare Antwort: Es kommt darauf an. Und wenn ich genau darüber nachdenke, gilt das ja eigentlich für fast alles.

Als ich angefangen habe, diesen Blog-Artikel zu schreiben, hatte ich eine klare Meinung: Es nervt, wenn ständig und von jede*m die eigene Position infrage gestellt wird. Es ist ein blödes Gefühl, wenn unterstellt wird, mensch wäre zu jung/unwissend/unreif/… um so eine Entscheidung treffen zu können. Es impliziert, dass Trans*sein irgendwie nicht ok und ein Problem ist, es wird stigmatisiert.

Trotzdem ist es eine wichtige Frage, und wie alle wichtigen Fragen ist sie natürlich sehr unbequem. Die Entscheidung, den eigenen Trans*weg zu gehen, lässt sich umkehren, das schon. Allerdings bringt die Gabe von Hormonen einige unumkehrbare Veränderungen mit sich, auch Operationen schaffen recht endgültige Fakten.

Ich möchte noch ergänzen, dass vieles, was ich hier schreibe, in ähnlicher Form für die sexuelle und romantische Orientierung gilt. Wenn sich also Menschen als nicht hetero-romantisch-monogam outen, durchlaufen sie einen ähnlichen Prozess und möchten gerne ernst genommen und akzeptiert werden.

Wie fühlen sich Trans*Menschen damit?

Für die Trans*Menschen ist es kein schönes Gefühl, wenn sie diese Aussagen hören.

Sie werden nicht ernst genommen und ihnen wird das Urteilsvermögen abgesprochen (die sind ja noch so jung, das können die doch noch gar nicht wissen!). Es wird der Anschein erweckt, es wäre irgendwie nicht ok, trans* zu sein. Oder sie sind vielleicht nicht trans* genug, weil sie keine Kleider tragen, Fußballspielen, Autos toll finden, Puppen lieben, eben nicht den Stereotypen entsprechen, oder weil sie es nicht „schon immer“ gewusst haben. Es wird unterstellt, dass das Outing eine unüberlegte, spontane Äußerung aus einem kurzzeitigen Gefühl heraus ist. Und dass die Aussage „Ich bin trans*“ eine gewisse Endgültigkeit hat, denn sonst wäre es ja wohl nicht so entscheidend, dass mensch ganz ganz sicher ist.

Verständnis, Anteilnahme und Unterstützung signalisiert der Spruch jedenfalls eher nicht. Und das könnten sie gut gebrauchen in ihrer verletzlichen Position, selbst wenn es wirklich nur eine Phase wäre!

Wie fühle ich mich als Mutter damit?

Ehrlich? Meine Gefühle fahren Achterbahn. Als Eltern wünschen wir uns einen leichten Weg zum Glück für unsere Kinder. Der Trans*Weg, wie immer er individuell auch aussehen mag, ist kein leichter Weg. Ich denke an Operationen, Diskriminierung, Gewalt, Mobbing und es schnürt mir das Herz zu. Wäre ja schon schön, wenn sich alles in Luft auflösen würde.

Andererseits sehe ich mein Kind aufblühen und freue mich. Endlich kann es ganz es selbst sein! Es entscheidet sich für vieles bewusst und nicht nach „Typisch Mädchen, typisch Junge“. Unser Kind setzt sich mit der Gesellschaft und den Rollenmodellen sehr kritisch auseinander und ist früh erwachsen geworden, oder hat früh erwachsen werden müssen. Ich glaube nicht, dass das eine Phase ist.

Im Übrigen betrifft das Trans*Thema auch uns als Familie. Es kommt zu Diskussionen zwischen mir und meinem Mann. Unser zweites Kind wird eventuell auch unangenehme Erfahrungen machen, wenn er auf sein Geschwister angesprochen wird, dummer Sprüche bekommt, oder vielleicht erlebt, wie seinem Geschwister unrecht widerfährt.

Nein, dieser Weg ist kein leichter, und wer wüsste das besser als die, die ihn gehen oder begleiten?

Trans * sein ist keine Entscheidung

Trans* zu sein, ist übrigens keine Entscheidung, genauso wie es keine Entscheidung ist, Cis (also nicht trans*) zu sein. Es ist nichts, was mensch aktiv beeinflussen kann, ebenso wie wir nicht beeinflussen können, mit welchen Geschlechtsmerkmalen wir geboren werden.

Es ist eine Entscheidung, das innere Erleben auch auszusprechen und entsprechend dem eigenen Empfinden zu leben, egal, welches Geschlecht bei der Geburt zugewiesen wurde.

Ich persönlich betrachte es als großes Glück, dass diese Entscheidungsfreiheit sehr viel größer ist als noch wenige Jahre zuvor. Wie viele Menschen sind schon unglücklich durchs Leben gegangen oder haben ihr Leben beendet, weil sie das Leid nicht mehr ertragen konnten?

Wer darf fragen: „Ist Trans * eine Phase?“

Sagen wir mal so: Menschen, mit denen wir intime Gespräche führen, dürfen auch intime Fragen stellen. Und selbst dann sollte eine solch grundlegende Frage als solche betrachtet werden, das heißt, die diskutiert mensch nicht bei jedem Treffen neu aus. Und natürlich dürfen wir, wie in jedem anderen Gespräch auch, Fragen nicht beantworten, wenn wir nicht wollen.

Als Gesprächseinstieg oder Anmerkung im Small Talk eignet sich diese Frage nicht. Trans*menschen fühlen sich stigmatisiert und/oder nicht ernst genommen. Die Kompetenz, zu wissen, wie mensch sich fühlt, wird abgesprochen. Als Mutter eines Trans*menschen habe ich das gleiche Gefühl. Ich kann nur für uns sprechen: Wir haben uns alle über einen längeren Zeitraum intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und unser Kind wird von einer Psychiaterin und einer Psychotherapeutin begleitet, beide spezialisiert auf dieses Fachgebiet. Ich möchte, dass unsere Entscheidung, unser Wissen und unsere Kompetenz ernst genommen wird.

Wer muss fragen: „Ist Trans * eine Phase?“

Psychiater*innen, Psychotherapeuten und Psycholog*innen müssen diese Frage stellen. Auch wenn es unangenehm ist. Wieder spielt die Häufigkeit eine große Rolle, und die Haltung, mit der gefragt wird. Grundsätzlich ist es die Aufgabe der Fachleute, andere Ursachen für eine Dysphorie auszuschließen und abzuklären, ob zum Beispiel „nur“ das Rollenmodell Mann/Frau abgelehnt wird. Es soll tatsächlich Fälle geben, wo Fachleute zu affirmativ sind und Menschen den Trans*weg gehen, obwohl sie nicht trans* sind. Ich persönlich habe das noch nicht erlebt, bzw. jemanden kennengelernt, der das bestätigen könnte. Allerdings bin ich ja auch erst seit einem Jahr in dem Bereich unterwegs.

Ich denke, es ist wichtig, sich klarzumachen, dass es auch in diesen Berufen Menschen gibt, die ihren Job gut machen und andere eben nicht. Außerdem muss es zwischen Patient*in und Therapeut*in auch passen.

Zwei Kinder spielen in der Matsche auf einer Wiese
Im Schlamm spielen finden fast alle Kinder gut! 😎 Das ist tatsächlich eine Phase, die aber wieder kommen kann. Für Erwachsene nennt man das dann z.B. „Tough Mudder“

Ich weiß nicht, ob Trans * eine Phase ist

Zwischen dem Outing und den ersten Maßnahmen, die unwiderrufliche Veränderungen mit sich bringen, vergehen in der Regel mindestens ein Jahr! Ohne Therapie geht gar nichts, die Wartezeiten liegen meist bei mindestens 3 Monaten, eher 6 bis 12 Monaten oder noch mehr. Dann folgen die Therapie-Einheiten, die Alltagserprobung, usw. Vorgespräche und OP-Termine sind ebenfalls mit Wartezeiten verbunden. „Mal eben“ und „schnell“ geht da eigentlich gar nichts.

Dazu kommen Probleme wie Diskriminierung und Mobbing, im schlimmsten Fall körperliche Gewalt. Manche Famileinmitglieder und Freund*innen wenden sich ab. Und dann die Fragen des Alltags: Auf welche Toilette gehe ich? Wo kann ich mich beim Sport umziehen? Kann ich meinen Namen auf Busfahrkarten, Zeugnissen, usw ändern? Und dazu das Gefühl, weder zu den Jungen noch zu den Mädchen so richtig dazuzugehören, sowie gesundheitliche Risiken durch Hormone und Operationen. Angesichts dieser Probleme von einem Trend und Phasen zu sprechen finde ich schlicht unangemessen.

Und wenn es nun doch eine Phase ist? So what? Unsere Kinder können sich darauf verlassen, dass wir sie auf ihrem Weg unterstützen, egal wo dieser Weg hinführt.

Wir haben keine Erwartungen an unsere Kinder, wie:

  • Wenn Du trans* bist, musst Du auch Operation XY machen.
  • Ich erkenne Dich erst als Mann/Frau an, wenn Du alle Operationen gemacht hast.
  • Du bist cis-hetero, also heiratest Du eine Frau/Mann und kriegst Kinder.

Wir versuchen, Stereotype und Rollenmodelle zu hinterfragen. Wir sagen nicht:

  • Jungs tragen keinen Nagellack.
  • Mädchen sind immer nett.
  • Wenn Du ein richtiger Junge bist, musst Du Autos/Fußball/Bier/… mögen.
  • Wenn Du ein richtiges Mädchen bist, musst Du auf rosa/Kleider/Glitzer/Puppen/… stehen.

Wir sprechen unser(e) Kind(er) mit dem Wunschpronomen und Wunschnamen an. Wir informieren alle, die es noch nicht wissen, über die richtige Ansprache. Und wir sind offen gegenüber ihren Wünschen und Vorstellungen.

Was ich weiß

Ich weiß, dass bei unserem Kind die Entscheidung, im anderen Geschlecht zu leben, als ihm bei der Geburt zugewiesen wurde, am Ende eines längeren Prozesses stand. Während dieses Prozesses hat sich unser Kind sehr zurückgezogen. Als es sich geoutet hat, sich unserer Unterstützung sicher war und es endlich so leben konnte wie es wollte, fiel eine große Last ab. Das war deutlich spürbar, unser Kind ist seitdem wieder viel ausgeglichener, offener, kommunikativer.

Ich weiß, dass unser Kind sich gut informiert hat. Es war ihm von Anfang an bewusst, dass es ein Weg ist, der Geduld fordert und ein gewisser Ablauf vorgegeben ist. Hormone gibt es eben nicht sofort auf Wunsch in der Apotheke, sondern nur mit der entsprechenden Indikation, Therapie und nach einiger Zeit Alltagserprobung. Das gilt für alle weiteren medizinischen Aspekte in ähnlicher Weise.

Ich weiß, dass unserm Kind bewusst ist, dass es einen steinigen Weg beschreitet. Es findet die Community natürlich voll cool, aber es ist ihm durchaus präsent, dass Transphobie, Diskriminierung und womöglich auch Gewalt seine Wegbegleiter sind. (Sorry, hier muss ich mal eben eine Packung Taschentücher holen).

Ich weiß, dass alle medizinischen Eingriffe Risiken bergen, auch die HET (Hormonersatz-Therapie). Inzwischen erkenne ich den Wert von seelischer Gesundheit, und wenn für die seelische Gesundheit Operationen und Hormone notwendig sind, dann ist das eben so.

Ich weiß, dass wir unsere Kinder lieben, so wie sie sind.

Eure Kinder sind nicht eure Kinder von Khalil Gibran

Meine Gedanken zu Entscheidungen im Leben

Ich habe im Leben schon viele Entscheidungen getroffen. Ob die gut waren oder nicht, zeigt sich oft erst in der Retrospektive.

Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts.

Søren Kierkegaard (1813-55)

Vor meiner Ausbildung, vor meinem Studium, bevor ich mit meinem Mann zusammen gezogen bin, vor meiner Hochzeit und als wir uns für Kinder entschieden haben, hat NIE jemand gefragt: „Bist Du Dir sicher? Ist das vielleicht nur eine Phase?“ Jeder dieser Schritte hatte Konsequenzen, zum Teil sehr weitreichende. Die Entscheidung, Kinder bekommen zu wollen, verändert das ganze Leben, schließt Türen und öffnet neue. Darüber brauchen wir sicher nicht zu diskutieren. Trotzdem hat nie jemand gefragt: Bist Du Dir sicher? Nicht mal, als ich nach der Elternzeit meinen Job aufgegeben habe. Wieso eigentlich nicht? Weil es meiner Rolle als Frau, Ehefrau und Mutter entspricht? Weil es gesellschaftlich akzeptiert ist? Weil es „normal“ ist?

 

Wichtige Begriffe rund um Trans* und den Regenbogen erkläre ich in meinem Trans*Glossar.

Viele Infos rund um trans* findest Du auch im Interview mit Nova Gockeln, Psycholog*in, zuständig für Trans*Beratung und Trans*Empowerment in der Beratungsstelle Sunrise in Dortmund.

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5 Kommentare

  1. Liebe Frauke,
    was für ein wundervoller, gefühlvoller und tiefgehender Artikel!
    Danke für die Worte, die du findest und, dass Du sie teilst 🙂 <3

    Liebe Grüße
    Lorena

  2. Sehr berührend, sehr bewegend und so herznah ehrlich. Ich liebe deine Sicht auf die Dinge und die Welt.
    Und danke, dass du mich an dieses Gedicht erinnert hast!

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